Die ersten "Raumluftschadstoffe"
waren schon in den Verbrennungsprodukten von Höhlenfeuern
unserer Vorfahren in der Steinzeit vorhanden. Früheste
schriftliche Erwähnungen finden sich bereits unter Kaiser
Augustus in Rom. Die fäkale Entsorgung in den immer größer
werdenden Städten bereitete zunehmend Schwierigkeiten: mit geruchsintensiven Folgen. Nächster
Meilenstein waren dann die meist überbewohnten Häuser
und Wohnungen des anbrechenden industriellen Zeitalters. Geprägt war
der Charakter der Innenraumschadstoffe bis dahin von
Verbrennungsprodukten aus Öfen, Kaminen und
Beleuchtungskörpern sowie direkten menschlichen
Produkten wie Fäkalien, Schweiss und Ausatemluft
(CO2)
aber auch durch Schimmelpilze.
Der erste beschriebenen
Innenraumschadstoff den sich Menschen aus gestalterischen
Gründen in ihre Wohnstätte holten, war das Schweinfurter
Grün (Kupfer-arsenit-acetat Cu(CH3COO)2·3
Cu(AsO2)2
auch Mitisgrün genannt). Auf feuchtem
Kalkputz wird eine gasförmige Arsenverbindung gebildet,
ebenfalls mit Schwefelwasserstoff aus fäkalen
Ausdünstungen. Sogar Schimmelpilze sind in der Lage diese
arsenhaltigen Verbindungen zu zersetzen und arsenhaltige
Farbstoffe in flüchtiges, also luftgängiges
Trimethylarsen umzusetzen. Der heute weiterhin verwendete Ausdruck
"Giftgrün" für ein besonders farbintensives
Grün wie es das Schweinfurter Grün war, zeugt noch davon. Als
wissenschaftlicher Begründer der Innenraumhygiene
gilt Max von Pettenkofer (1810-1901), der das aus
Verbrennung und Atemluft stammende CO2
als Indikator für die Raumluftqualität heranzog.
Spätestens, als nach der Ölkrise 1976 aus
Energiespargründen, aber auch durch das immer größer
werdende ökologische Bewußtsein, die Luftwechselrate
unserer Innenräume immer weiter vermindert wurde,
konzentrieren sich Schadstoffe in der Raumluft an wie
niemals zuvor. Es fehlt der Verdünnungseffekt frischer,
zuströmender Aussenluft. Dabei wird die Industrie nicht
müde, mit jährlich zigtausenden neuartigen Werkstoffen
und Verbindungen, Einzug in unsere "vier Wände"
zu nehmen.
Seit 1978 beschäftigt sich auch die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit der Qualität von
Innenraumluft und legt Standards fest, nachdem sie bereits
1965 die Erarbeitung von Gesundheitsstandards für
Wohnungen zum Forschungsgegenstand erhob. In der BRD stand
damals das ehemalige Bundesgesundheitsamt (BGA) als
zuständige Institution fest. Heute sind es sowohl das
Umweltbundesamt, das Bundesinstitut für gesundheitlichen
Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) und das aus
dem BGA hervorgegangene Robert Koch Institut, das
Untersuchungen und Vorgaben im Bereich der
Hygiene/Innenraumhygiene liefert. Das Institut für
Wasser, Boden und Luft (WaBoLu) des ehem. BGA liefert dabei
wichtige experimentelle Daten.
Allgemeines
Mehrere Untersuchungen
belegen, daß sich der moderne Mensch in den Breitengraden
von Nord - und Mitteleuropa bzw. Nordamerika durchschnittlich etwa 90% in
Innenräumen aufhält (Dörre und Knauer 1993/94 Helsinki
und Budapest sowie Szalai 1972 / Chapin 1974 beide
Nordamerika). In 60 Jahren atmet ein Mensch etwa
300 Tonnen Luft! Zum Vergleich: er verbraucht in der
gleichen Zeit lediglich 30 t Speisen und 60 t Getränke.
Damit strömen in 60 Jahren 270 t Innenraumluft (90%
von 300t) durch seinen Körper. Und damit auch die
Schadstoffe, die in 270 t Raumluft enthalten sind - und die
Lunge ist ein guter Filter.
Innenraumschadstoffe
zu erkennen gestaltet sich nicht immer einfach. Die
menschliche Nase stellt dabei ein nur unzureichendes Organ
dar. So werden Stoffe mit einem hohen Molekulargewicht
(etwa >300M) wegen Ihres geringen Dampfdruckes kaum
noch wahrgenommen. Dabei sind viele Stoffe bereits weit unter der
sogenannten Geruchsschwelle gesundheitlich relevant.
Auf der anderen Seite stellen auch ungiftige, aber dennoch
geruchsintensive (kakospherische) Substanzen wegen deren belästigenden
Eigenschaften, einen hygienischen Mangel dar! Im Labor
gehören heute Gaschromatografie (GC) und
Flüssigkeitschromatografie (LC) mit nachgeschalteten,
teilweise doppelten Massenspektrometern (MS-MS) zur
geforderte Ausstattung um eine ausreichende Analytik
zu erhalten.
Ganz andere Belange
müssen Berücksichtigung finden, wenn es um
staubförmige Verbindungen geht wie Asbest oder
künstliche Mineralfasern. Auch biologische Agenzien
fordern eine völlig andere, auf die jeweilige
Fragestellung bezogene Meß- und
Bewertungsstrategie. Dabei sind Elektronenmikroskopie,
Röntgensrukturanalyse auf der einen Seite sowie
umfangreiche mikrobiologische Meß- Anzucht -Auswertungs-
und Bewertungsverfahren auf der anderen
(biologischen) Seite gefordert.
Als großes Problem
der Bewertung von Innenraumschadstoffen, stellt sich die
Notwendigkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit dar.
Chemische, biologische, physikalische, medizinische und
technische Fachrichtungen sind gemeinsam gefordert. Mangelnde
Koordination, unzureichende Zusammenführung und geringe
gegenseitige Anerkennung, behinderten in der Vergangenheit
häufig die wissenschaftlichen Fortschritte. Dies führte
dazu, daß nicht wenige Betroffene ungerechtfertigter
weise in ein psychosomatisches und/oder
rein psychatrisches Krankheitsbild gedrängt wurden.
Umweltmedizin und Innenraumschadstoffe
Epidemiologisch ist es bis heute wegen der
Vielzahl der sich gegenseitig beeinflussenden Parameter
schwierig, oft sogar unmöglich, Kausalitäten zwischen
den aufgetretenen Erkrankungen und den zugrundeliegenden
Umweltbelastungen zu ermitteln. Zu verschiedenartig sind
die individuellen Belastungen in den verschiedenen Wohn-
und Arbeitsräumen. Zu verschiedenartig auch die Symptome
bei ähnlichen Belastungen. So zeigte Molhave et al., daß
sich bei verschiedenen Stoffgemischen von flüchtigen
organischen Substanzen sensorische und objektivierte
physiologische Effekte in unterschiedlichem Maße
feststellen ließen. Dem nicht genug, spielen auch erbliche, also
genetisch festgelegte Vorgänge (z.B. enzymatischer
Polymoprphismus) einzelner Individuen eine nicht
untergeordete Rolle in der Bewertung möglicher
Schadeinflüsse von Innenraumschadstoffen auf den
Organismus. So bedingt ein und derselbe Stoff mitunter die
unterschiedlichsten Wirkungen bei verschiedenen
Individuen.
Bessere epidemiologische Daten, liefern
Untersuchungen zu Aussenluftbelastungen, da die
Betroffenen eine mehr oder weniger gleichmäßig großen
Belastung ausgesetzt sind, und in der Regel genügend Exponierte zur
Erstellung einer aussagefähigen Statistik vorhanden sind.
Die Toxikologie, als
wichtige wissenschaftliche Disziplin zur Erforschung von
Wirkstoffzusammenhängen, steht aus methodischen Gründen oft am
Rand ihrer Möglichkeiten. Namentlich die niedrige
Stoffkonzentrationen bei mitunter jahrzehntelanger,
chronischer Belastung und die Vielzahl der
miteinander reagierenden Stoffe (Stichwort überadditiver
Synergismus), sind hier begrenzende
Faktoren. Aber auch Speziesunterschiede bei Versuchstieren
und die Unzulänglichkeiten von Invitro-Testsystemen
("im Reagenzglas") müssen genannt werden.
Umweltmedizin
contra Arbeitsmedizin
Bis heute ist der negative, weil wirkungsverharmlosende Einfluss aus dem
arbeitsmedizinischen Bereich in der Umweltmedizin zu
spüren. Die hier immer wieder als Grundlage angeführten MAK-Werte
(Maximale Arbeitsplatzkonzentration) werden ohne Vergleichbewertung
völlig unreflektiert zur Beurteilung
"normaler" Innenraumschadstoffkonzentrationen herangezogen. Dabei ist es so
einfach diese grundlegend fehlerhaften Ansichten zu entkräften:
1.
Arbeitsmedizinische Daten beziehen sich auf in der Regel
gesunde Menschen im mittleren Lebensalter. Umweltmedizin
geht aber vom Säugling bis zum alten Menschen und
betrifft auch kranke Personen.
2. Es wird von
wenigen, genau definierten Stoffen ausgegangen. Der "Cocktail"
von sonstigen Innenraumschadstoffen, Begleitsustanzen und
der bereits oben angeführte mögliche überadditive
Synergismus findet keine
Berücksichtigung.
3. Zusätzliche
Schadstoffbelastungen im signifikanten, also wirkfähigem
Bereich, finden keine oder nur unzureichende
Berücksichtigung.
4. Die regelmäßige
gesundheitliche Überwachung und meßtechnische
Überwachung der Schadstoffe vor Ort am Arbeitsplatz, ist in der Regel gegeben. Beim
Auftreten von Symptomen kann gezielt verfahren werden,
z.B. Arbeitsplatzverlagerung, Verbesserung der äußeren
Arbeitsbedingungen, etc.. Wer führt solche Untersuchungen
außerhalb dieses eng begrenzten Bereiches am Arbeitsplatz
durch?
5. Die als zulässig
erachteten MAK-Belastungswerte sind auf eine 8-Stundenschicht
/ Tag gerechnet und unterstellen eine
Schadstoff-belastungsfreie Erholungszeit für den Rest des
Tages. Dies sind immerhin weitere 16 Stunden. Dabei reagiert der
Organismus während des Schlafes in der Regel wesentlich
sensibler auf mögliche Schadstoffe und ist mitnichten
frei von sonstigen Belastungen.
6. Kann man eine
lobbyistische Durchsetzung von relativ hoch angesetzten
Richt- und Grenzwerten im Sinne der Industrie unterstellen
um gewisse Arbeitsabläufe unter ökonomischen
Gesichtpunkten überhaupt zu ermöglichen.
FAZIT:
MAK-Werte lassen
sich außerhalb der Arbeitsplätze nicht zur Bewertung von
"Wohngiften" heranziehen. Selbst
Raumluftschadstoffe, die außerhalb der eigentlichen
Arbeitsstoffe ebenfalls in Arbeitsräumen auftreten
können (z.B. Lösemittel aus Teppichklebstoffen innerhalb
eines Büros), unterliegen nicht einer
arbeitsmedizinischen Beurteilung nach MAK-Werten!
Bewertungsgrundlage
Der
abschließende Beweis
einer umweltbedingten Schädigung, im Sinne einer
wissenschaftlich korrekten, statistisch untermauerten oder
durch toxikologische Methoden erbrachten Aussage, kann
nicht immer oder sogar nur selten erbracht werden. Es bleibt
zu hoffen, das unter dem vollbrachten Ausschluss anderer
Ursachen im medizinischen Sinne, auch auf Verdacht
hin Zusammenhänge zwischen Erkrankungen und
Innenraumschadstoffen nachgegangen wird. Die Medizin darf
sich dabei nicht als Wissenschaft betrachten! - Ein Fehler
der in den vergangenen Jahrzehnten systematisch ausgebaut
wurde. Im Sinne einer bestenfalls als
>Erfahrungswissenschaft< zu deklarierenden
Ausrichtung, ist eine, sich an offeneren Standards
orientierende Vorgehensweise oftmals angebrachter um
weitere Eckdaten sammeln zu können.
Schwierig dabei ist lediglich die Qualitätsbeurteilung
der untersuchenden, ausführenden und beurteilenden Organe
und Institutionen.
Prüfzeichen
und Zertifikate
Leider bieten
selbstgestalltete Zertifikate und Prüfzeichen keine
ausreichende Sicherheit und verschleiern oft mehr als das
sie aufklären. Selbst der vom Umweltbundesamt UBA
vergebene "Blaue Engel" ,
ist nicht immer Zeitgemäß und orientiert sich oft mehr an ökologischen
als an innenraumhygienischen Parametern. So erhalten
beispielsweise Spanplatten mit
Formaldehydausgasungen dieses Prüfzeichen: Das
Messverfahren dabei ist veraltet und geht von einem
einfachen Luftwechsel pro Stunde im Prüfraum aus. Moderne
Wohnungen erreichen nicht einmal ein zehntel dieser
Luftwechselrate. Entsprechend stark können die
Formaldehydbelastungen im Wohnraum gegenüber der
Prüfmessung steigen. Höhere Temperaturen und Luftfeuchte
(Formaldehyd wird durch Einlagerung von Wasser ,
sogenannte Hydrolyse, abgespalten) als die
Prüfbedingungen vorgeben, sind im Wohnraum ebenfalls
möglich. Im beliebten Dachgeschoßausbau, sind die
vorhandenen Oberflächen zudem immer wesentlich größer
im Verhältnis zum Raumvolumen, als die wiederum im
Prüfraum vorgegeben Verhältnisse. Andererseits ist Deutschland ein
Überschußland für mangelhaftes Nutzholz und verfügt
über große Mengen von Verarbeitungsresten. Was also
liegt näher als Spanplatten trotz der vorhanden Bedenken
weiter zu propagandieren? - Auch mit dem Blauen Engel! Wie
aber steht es mit anderen Prüfzeichen und Zertifikaten?
Prüfzeichen beziehen sich, genau wie Zertifikate, immer
auf die dahinterliegende Fragestellung. Leider steckt
damit meistens nur eine Werbestrategie dahinter. Wem nutzt
ein Zertifikat, in dem auf genau jenen Stoff in der
Untersuchung verzichtet wurde, der dann zu Problemen
führen kann? Wem nutzen "Lösungsmittelfreie"
Farben, Lacke und Klebstoffe, wenn immer noch bis zu 3%,
teilweise sogar erheblich gesundheitsgefährdende
Lösungsmittel und Konservierungsstoffe enthalten
sind? |